Technologien für adaptive Maschinen

Artikel vom 10. November 2020
Transportsysteme und Fahrzeuge

Kleinere Losgrößen, kürzere Lebenszyklen und der Online-Handel stellen die Hersteller von verpackten Konsumgütern vor zahlreiche neue Herausforderungen. Ein neuer Maschinentyp soll helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen: die adaptive Maschine.

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Formatwechsel im Flug: die adaptiv Maschine macht’s möglich´(Bild: B&R).

Formatwechsel im Flug: die adaptiv Maschine macht’s möglich´(Bild: B&R).

Ein Instagram-Post eines beliebten Influencers reicht, und schon steigt die Nachfrage nach einem bestimmten Produkt rapide an. Allein in der folgenden Stunde bestellen tausende Konsumenten das begehrte Konsumgut. Binnen 24 Stunden ist der komplette Lagerbestand aller Online-Shops aufgebraucht. Sofort erhöhen die Großhändler die Bestellmengen beim Hersteller – und dieser steht schlagartig vor einer unlösbaren Aufgabe: In der Kürze der Zeit kann er die unerwarteten Aufträge unmöglich produzieren. Dieses Szenario war bis vor kurzem noch Zukunftsmusik, doch mittlerweile erzählen immer mehr Maschinenbetreiber diese Geschichte. Wir sind also an einem Punkt angekommen, an dem herkömmliche Maschinen nicht mehr mit den Anforderungen der produzierenden Industrie und letztlich mit den Anforderungen der Konsumenten mithalten können.

Vier neue Herausforderungen

Bei B&R wurden insgesamt vier gravierende Herausforderungen identifiziert, vor denen speziell die Hersteller von verpackten Konsumgütern stehen:

  • Die Variantenvielfalt der Produkte nimmt rapide zu,
  • die Losgrößen variieren immer mehr,
  • die Produktnachfrage schwankt stark und unvorhersehbar,
  • der Lebenszyklus einzelner Produkte wird immer kürzer.

In Gesprächen mit Maschinenbauern und -betreibern stellte B&R fest, dass beide nicht nur von der viel diskutierten Losgröße 1 vor neue Herausforderungen gestellt werden – es ist vielmehr die Kombination aus immer mehr Produktvarianten, die in stark variierenden Losgrößen und in sehr kurzer Zeit produziert werden müssen. Ein weiterer Faktor ist der Lebenszyklus der Produkte. Während früher Produkte mehrere Jahre lang einheitlich produziert und verpackt wurden, hat sich dieser Zeitraum teilweise auf ein Jahr oder weniger verkürzt. Saison- oder Aktionsware wird häufig sogar nur wenige Wochen produziert. Der Extremfall sind komplett individuelle Produkte, die ein einziges Mal in einer Losgröße von einem Stück produziert werden.

Vier Maschinen-Eigenschaften

Verpackungsmaschinen sind in den vergangenen Jahren immer flexibler geworden, doch selbst diese Flexibilität reicht für die neuen Anforderungen nicht mehr aus. Daher braucht es einen neuen Maschinentyp: die adaptive Maschine. Diese muss vier Kerneigenschaften aufweisen:

  • Wirtschaftliche Produktion kleiner Losgrößen,
  • Formatwechsel ohne Stillstandszeiten,
  • Fähigkeit, Produkte zu fertigen, die derzeit noch nicht bekannt sind, sowie
  • schnelle Marktverfügbarkeit für neue Produkte.

Wenn die Variantenvielfalt immer größer und die Losgrößen immer variabler werden, haben Umrüstzeiten einen immer größeren Einfluss auf die Verfügbarkeit und die Produktivität einer Maschine. Daher muss eine adaptive Maschine einen Formatwechsel auf Knopfdruck ermöglichen und im Idealfall sogar unterschiedliche Produkte gleichzeitig fertigen können. Und da ständig neue Produkte oder Produktvarianten gefordert werden, muss eine adaptive Maschine auch jederzeit fähig sein, Produkte herzustellen, die bei der Entwicklung der Maschine noch gar nicht bekannt waren – daher auch die Bezeichnung »adaptive Maschine«, die Maschine passt sich einfach an das jeweils benötigte Produkt an, um die Zeit bis zur Markteinführung neuer Produkte massiv zu verkürzen.

Digitale Zwillinge ermöglichen, dass neue Produkte quasi ohne Umrüstzeit und Prototypen gefertigt werden können (Bild: B&R).

Digitale Zwillinge ermöglichen, dass neue Produkte quasi ohne Umrüstzeit und Prototypen gefertigt werden können (Bild: B&R).

Vier Technologien

Zur Umsetzung der adaptiven Maschine ist es notwendig, bestehende und neue Technologien zu einer neuen Gesamtlösung zu verschmelzen. Diese Technologien sind im Wesentlichen:

  • Track-Systeme,
  • Vision-Systeme,
  • Roboter und
  • digitale Zwillinge.

Herkömmliche Maschinen in der diskreten Fertigung arbeiten nahezu ausschließlich sequenziell, das heißt mit einem Transportband und damit synchronisierten Bearbeitungsstationen. Bei B&R ist man überzeugt, dass auf dieser Basis eine adaptive Maschine nicht realisiert werden kann. Daher bilden intelligente Transportsysteme, sogenannte Track-Systeme, das Rückgrat des neuen Maschinentyps. Sie ermöglichen, dass jedes Produkt individuell durch den Produktionsprozess transportiert werden kann. Zudem lassen sich zeitintensive Prozesse parallelisieren, indem der Produktfluss durch Weichen auf mehrere Bearbeitungsstationen aufgeteilt und nachher wieder zusammengeführt wird. Mit intelligenten Track-Systemen ist es sogar möglich, Produkte zwischen zwei Shuttles einzuklemmen und so zu transportieren. Somit kann im Prinzip jedes Produkt individuelle Abmessungen und Formen aufweisen, ohne dass Umrüstungen notwendig sind. Die Software passt einfach automatisch den Abstand der zwei Shuttles an das Produkt an.

Für eine reibungslose Produktion ist es erforderlich, dass jedes Produkt exakt reproduzierbar zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer eindeutigen Stelle ist. Wenn die Produkte oder ihre Verpackung jedoch ständig wechseln, wäre es viel zu aufwendig, die Mechanik jedes Mal manuell entsprechend anzupassen. Die Lösung ist ein intelligentes Vision-System, das automatisch Form, Orientierung und Größe eines Produktes erkennt und diese Information in weniger als einer Millisekunde an einen Roboter weitergeben kann. Der Roboter nimmt das Produkt auf und platziert es mit der gewünschten Ausrichtung auf einem Shuttle des Track-Systems.

Im Visualisierungstool »Scene Viewer« können Bewegungen über CAD-Daten im 3D-Format dargestellt werden (Bild: B&R).

Im Visualisierungstool »Scene Viewer« können Bewegungen über CAD-Daten im 3D-Format dargestellt werden (Bild: B&R).

Ersetzt den Prototypen

Durch die Kombination dieser Hardware-Technologien in einem einheitlichen System ermöglicht B&R völlig neue Ansätze in der Produktion. Diese lassen sich jedoch nur umsetzen, wenn auch die benötigte Software zur Verfügung steht. Neben einer einheitlichen und benutzerfreundlichen Automatisierungssoftware gibt es dabei einen besonders wichtigen Aspekt: die Simulation. Ohne einen digitalen Zwilling ist es nicht zu schaffen, neue Produkte quasi ohne Umrüstzeiten und Prototypen zu fertigen. Der digitale Zwilling ermöglicht es, bereits vor der Produktion den vollständigen Prozess zu simulieren, um eventuell auftretende Probleme im Voraus zu erkennen und zu vermeiden.

Mit einer adaptiven Maschine können Hersteller von Konsumgütern schnell und wirtschaftlich auf sich ändernde Anforderungen eingehen. Damit ausgerüstet, sollten es Influencer nicht mehr schaffen, Maschinenbetreiber ins Schwitzen zu bringen.

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