Auf Nummer sicher

Artikel vom 29. November 2019
Maschinenschutz

Ein Hersteller von Schutzsystemen für Werkzeugmaschinen unterzieht seine Produkte regelmäßig strengen Materialtests. Eine solche Prüfung musste auch das XY-Rückwandsystem einer Fräsmaschine bestehen. Da die Anlage eine zusätzliche Drehoption erhalten sollte, wurde eine Risikoanalyse durchgeführt. Bei den Tests stellte man Schwachstellen an den Schutzabdeckungen fest – die Rückhaltefähigkeit war möglicherweise nicht mehr gegeben.

Auf einem Prüfstand unterzieht Hema seine Faltenbälge harten Belastungstests mit bis zu 1,5 Mio. Bewegungszyklen. Bild: Hema

Auf einem Prüfstand unterzieht Hema seine Faltenbälge harten Belastungstests mit bis zu 1,5 Mio. Bewegungszyklen. Bild: Hema

Der Schutz des Bedienpersonals vor umherfliegenden Werkstückteilen war zwar unter den bisherigen Betriebsbedingungen jederzeit garantiert, doch mit der zusätzlichen Drehfunktion änderten sich die Anforderungen an die Robustheit der Schutzabdeckungen in der Rückwand beträchtlich. Der Maschinenbauer hatte mittels einer Risikoanalyse die Komponenten deshalb als kritischen Bereich identifiziert, der einem Beschuss durch Werkzeug- oder Werkstückteile im Drehbetrieb möglicherweise nicht standhalten könnte. Mit der Befürchtung sollte er Recht behalten: Bei einem Beschusstest am Institut für Arbeitsschutz (IFA) nach der Norm C1/DIN EN ISO 2312 fiel eine Abdeckung in der Rückwand durch. Sie wurde mit einem 2,5 Kilogramm schweren Projektil beschossen, das mit einer Geschwindigkeit von 50 Metern pro Sekunde und einer Energie von 3124 Joule auf die Abdeckung auftraf. Zwar konnten die Lamellen das Projektil bei drei von insgesamt vier Beschussversuchen zurückhalten, beim vierten Versuch wurde allerdings das Kevlar-Gewebe der Rückwand stark beschädigt und der Test somit nicht bestanden.

Die Hema Maschinen- und Apparateschutz GmbH bekam vom Maschinenbauer den Auftrag, eine Abdeckung für Fräsmaschinen mit Drehoption zu entwickeln, die einem Beschusstest nach der Norm C1/DIN EN ISO 2312 standhält. »Wir haben verschiedene Abdeckungsvarianten konstruiert, die auf unterschiedlichen Materialien basieren«, berichtet Konstrukteur Fikri Dursun, Gruppenleiter in der Entwicklungsabteilung für Schutzsysteme bei Hema. Alle Varianten verfügten über Lamellen aus nichtrostendem Federbandstahl 1.4310 und waren mit verschiedenen Standard-Faltenbalggeweben ausgestattet. Außerdem wurden die Abdeckungen mit diversen Aramid-Geweben beziehungsweise zusätzlichen Blechen verstärkt.

Getestet werden unter anderem das Knickverhalten der Materialien und der Verschleiß der Gleit-­ beziehungsweise Rollenführungen. Bild: Hema

Getestet werden unter anderem das Knickverhalten der Materialien und der Verschleiß der
Gleit-­ beziehungsweise Rollenführungen. Bild: Hema

Die neu entwickelten Abdeckungsvarianten kamen im unabhängigen Institut für Arbeitsschutz (IFA) in St. Augustin bei Bonn auf den Prüfstand, der Beschusstest wurde nach der Norm C1/DIN EN ISO 2312 durchgeführt. Die Einbaulage der Abdeckung im Prüfgestell entsprach dem in der Maschine. Das Ergebnis der Tests: Drei Varianten hielten dem Aufprall des Projektils stand, wenn auch mit stark deformierten Lamellen. Bei Hema ist man sehr zufrieden: »Es hätte auch gereicht, wenn nur eine der Varianten zertifiziert worden wäre«, sagt Konstrukteur Dursun. »Uns stehen jetzt drei beschusssichere Abdeckungsvarianten zur Verfügung, um kundenspezifische Lösungen anzubieten.«

Regelmäßige Prüfung der Schutzabdeckungen

Dass Qualität eine große Rolle spielt, zeigt sich unter anderem daran, dass alle Produkte aus dem Bereich Schutzabdeckungen regelmäßigen, stichprobenartigen Lebensdauertests unterzogen werden. Zu diesem Zweck unterhält der Maschinenschutz-Spezialist aus dem südhessischen Seligenstadt einen eigenen Produktprüfstand. Hier beobachten die Experten beispielsweise das Knickverhalten der Materialien (Brüche, Durchscheuern), entstehende Risse an Stützrahmen oder den Verschleiß der Gleit- beziehungsweise Rollenführungen von Faltenbälgen. »In weiteren Tests prüfen wir auch die Auswirkungen der dynamischen Kräfte«, erklärt Produktentwickler Lars Najorka. »Wir untersuchen unter anderem die Rückstellkraft der Abdeckungen während des Auszugs und des Zusammendrucks oder das Verhalten der Andruckkräfte bei Lamellen über die Lebensdauer einer Abdeckung hinweg.« Das ist deshalb wichtig, weil die Dichtheit der Abdeckung erst gewährleistet ist, wenn die Andruckkräfte einen bestimmten Wert erreichen. Bei den Tests setzen die Ingenieure zum Beispiel Faltenbälge auf langen Verfahrwegen den maximal in der Praxis möglichen Beschleunigungen aus. Einzelne Produkte werden mehr als 1,5 Millionen Belastungszyklen unterzogen. So lassen sich verlässliche Aussagen über die Lebensdauer der Abdeckungen bei realistischen Einsatzbedingungen treffen. Neben X-, Y- und Z-Achsenabdeckungen, Dachabdeckungen, Rollos, Rolloantrieben und kompletten Rückwandsystemen testet das Unternehmen auch Einzelteile wie Klammern, Gewebe und Materialen, die zur Balgherstellung dienen, Aufhängungs- und Gleitsysteme sowie Lamellengeometrien.

Drei der vier neu konstruierten Abdeckungen für die Rückwände des 5-­Achs-­Fräsbearbeitungszentrums mit Drehoption bestanden den Beschusstest nach Klasse C1/DIN EN ISO 2312. Bild: Hema

Drei der vier neu konstruierten Abdeckungen für die Rückwände des 5-­Achs-­Fräsbearbeitungszentrums mit Drehoption bestanden den Beschusstest nach Klasse C1/DIN EN ISO 2312. Bild: Hema

Hema kann auf seinem Teststand Abdeckungen mit einer Auszugslänge von bis zu sechs Metern prüfen. »Wir sind in der Lage, dynamische Anwendungen mit unterschiedlichen Brems- und Beschleunigungsrampen, Wartezeiten und bis zu 20 Wegpunkten zu simulieren«, berichtet Najorka. Bei einfachen Materialtests werden die eingesetzten Materialien auf Durchscheuern oder Materialermüdung beim Knicken untersucht. Abdeckungen oder komplette Rückwandsysteme werden zusätzlich auf die Homogenität des Laufverhaltens, Geräuschemission und auf Verschleiß hin getestet. Wenn das Unternehmen gemeinsam mit einem Kunden ein neues Produkt entwickelt, wird der Prototyp ebenfalls ausgiebig auf Maßhaltigkeit und Form überprüft. »Um Geräusche, Dichtigkeit und eine mögliche Überbeanspruchung zu ermitteln, simulieren wir auch das dynamische Verhalten der Abdeckung«, erläutert Najorka. »So können wir Optimierungen vornehmen, bevor wir die Nullserie an den Kunden ausliefern.« Das Unternehmen führt so 30 bis 60 Tests pro Jahr durch, teilweise werden bis zu zehn Varianten eines Produkttyps in einem Test geprüft.

Harte Testst für Sicherheitsscheiben

Auch die Sicherheitsscheiben des Herstellers werden strengen Tests unterzogen, denn sie müssen ebenso wie die Rückwände das Bedienpersonal vor umherfliegenden Werkstück- oder Werkzeugteilen schützen. Die Tests führt das Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF) der TU Berlin nach der Norm DIN EN 23125, Widerstandsklassen A1 bis C3, durch. Bei den Versuchsreihen werden die in einen Beschussrahmen eingespannten Verbundglasscheiben mit einem 2,5 Kilogramm schweren Projektil beschossen. Bisher überstanden die Scheiben selbst Beschüsse mit Projektilgeschwindigkeiten von bis zu 80 Metern pro Sekunde und einer Aufprallenergie von bis zu 8000 Joule problemlos. Sie erfüllen damit die Maschinenschutzforderungen EN/TC143/WG3 in vollem Umfang.

In Zusammenarbeit mit der TU Berlin führt Hema auch Beschusstests mit seinen Sicherheitsscheiben durch. Bild: Hema

In Zusammenarbeit mit der TU Berlin führt Hema auch Beschusstests mit seinen Sicherheitsscheiben durch. Bild: Hema

Alle Produktionsstätten des Unternehmens in Europa sind nach DIN ISO 9001:2015 zertifiziert und verfügen damit über ein eigenes Qualitätsmanagementsystem«, sagt Geschäftsführer Steffen Walter. Das alleine reicht dem Unternehmenschef aber nicht: »Wir wollen ständig besser werden und haben deshalb in allen Werken Kaizen-Teams gegründet.« Die Vorschläge der Mitarbeiter zur Optimierung der Abläufe werden – sofern möglich – zeitnah umgesetzt. So profitieren alle: Die Prozesse werden effizienter und die Mitarbeiter sind motivierter, weil sie ihre Arbeitsabläufe mitgestalten können.

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