Interview zur VDMA-Fairness-Inititiative für den Werkzeug- und Formenbau

Artikel vom 14. September 2020
Spritzwerkzeuge für Kunststoffe, Gusswerkzeuge für Metall

Laut VDMA verschlechtert sich die Lage der deutschen Werkzeug- und Formenbauer zusehends: Wettbewerbsverzerrungen und hemmungsloses Nachverhandeln treiben immer mehr Firmen in den Ruin, so der Verband. Udo Staps, Stellvertretender Vorsitzender des VDMA-Fachverbands Werkzeugbau, zeigt auf, wie die »Initiative Fairness+« des Fachverbands den Werkzeug- und Formenbau unterstützt.

Mit der Initiative setzt sich der VDMA-Fachverband gemeinsam mit seinen Partnern entlang der Wertschöpfungskette für faire Geschäftsbeziehungen ein (Bild: VDMA).

Mit der Initiative setzt sich der VDMA-Fachverband gemeinsam mit seinen Partnern entlang der Wertschöpfungskette für faire Geschäftsbeziehungen ein (Bild: VDMA).

? Herr Staps, welche Bedeutung hat der Werkzeug- und Formenbau für die Industrie und was zeichnet ihn aus?

Es gibt so gut wie kein Konsumgut, das nicht mithilfe einer Form oder eines Umformwerkzeugs hergestellt wird. Einerseits ist das Werkzeug mit einem Anteil von rund 5 Prozent nur ein kleiner Kostenfaktor in der Fertigung. Andererseits ist die Auslegung und Qualität des Werkzeugs der größte Hebel für die Stabilität und Wirtschaftlichkeit der Produktion sowie die Teilequalität. Daher nennt man den Werkzeugbau nicht zu Unrecht die Königsdisziplin der Industrie.

Udo Staps, Stellvertretender Vorsitzender des VDMA-Fachverbands Werkzeugbau (Bild: VDMA).

Udo Staps, Stellvertretender Vorsitzender des VDMA-Fachverbands Werkzeugbau (Bild: VDMA).

Drei Aspekte charakterisieren die Branche: hohe Relevanz, kleinteilige Struktur und große Innovationskraft. Die Herausforderungen für diese überwiegend kleinen Unternehmen sind riesig: Sie müssen im Verhältnis zu ihrer Größe gigantische Projekte vorfinanzieren, ständig in modernste Maschinen investieren, sich selbst permanent technisch mit den kundenindividuellen Werkzeuganforderungen weiterentwickeln und aktuell zusätzlich aufgrund des riesigen Kosten- sowie Termindrucks aufwendige Automatisierungsprojekte stemmen, um morgen noch zu existieren.

? Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Branche ein?

Sehr besorgniserregend! Wir sehen jeden Tag weitere Marktbegleiter umfallen. Wenn sich die Lage nicht bald bessert, wird es eng für unsere Kunden, die Baugruppen-/Teileproduzenten, demnächst überhaupt noch regionale Dienstleistungspartner für Werkzeuge und Formen zu finden, die das passende Knowhow haben. Im Endeffekt verringert das natürlich auch deren Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Die Spirale dreht sich gerade für den Wirtschaftsstandort Deutschland abwärts.

? Was sind die Gründe für diese Werkzeugbau-Krise?

Jetzt denken die meisten wahrscheinlich reflexartig, dass die Corona-Pandemie schuld sei. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Viele Unternehmen der Branche kämpfen bereits seit über einem Jahr mit einer Absatzkrise in der vom Wandel gebeutelten Automobilbranche und gegen alimentierte Wettbewerber aus China. Jetzt kommen noch Wettbewerbsverzerrungen durch Corona-Hilfsgelder an Mitbewerber aus dem europäischen Ausland hinzu. Wir wissen von ausländischen Wettbewerbern, die im Rahmen von Corona-Hilfen teilweise finanzielle Unterstützung für Exportgeschäfte erhalten. Von ihnen wird aktuell der Markt mit Werkzeugen geflutet, die niemand kostendeckend für den vereinbarten Preis bauen kann. Damit werden viele eh schon angeschlagene Werkzeugbauer endgültig aus dem Markt gedrängt. Meine Forderung an die Politik lautet daher, für fairen Wettbewerb zu sorgen und Dumping stärker zu unterbinden.

Außerdem sind das Geschäftsgebaren und insbesondere die Zahlungsmoral einiger großer Kunden seit März nochmals schlechter geworden. Einige Großkunden, denen es zugegebener Maßen auch nicht rosig geht, nutzen ihre Marktmacht, um sich Liquidität bei Ihren Werkzeuglieferanten zu verschaffen. Geschlossene Verträge werden nachverhandelt, beispielweise indem eine schnelle Zahlung mit Abschlägen angeboten wird. Rechnungen werden erst nach Ablauf der Zahlungsfrist als fehlerhaft zurückgeschickt, oder man verschleppt die Abnahme der fertigen Formen. Im Endeffekt schwindet die Liquidität der Werkzeug- und Formenlieferanten, einige hat das bereits in eine sehr kritische Situation gebracht.

Aber: Wer morgen produzieren will, muss heute fair handeln!

? Sehen Sie denn überhaupt noch eine Chance, den Werkzeugbau in Deutschland zu retten?

Wir alle hier am Standort Deutschland haben doch genau eine Chance, diese Wirtschaftskrise gemeinsam zu bewältigen: indem jeder seinen Teil beiträgt. Denn wenn wir es nicht gemeinsam schaffen, zum Vorteil für alle Partner entlang der Wertschöpfungskette vernünftig, mit Augenmaß und fair alle verfügbaren Zeit- und Kostenpotenziale zu heben, haben wir gemeinsam verloren. Wobei – und das möchte ich betonen – es mir überhaupt nicht um nationalistische Forderungen geht: Jeder Marktteilnehmer, der sich an die Spielregeln hält, ist hochwillkommen – egal, wo er auf der Welt sitzt.

? Teamgeist und Fairplay in der Industrie – wie stellen Sie sich das vor und wie wollen Sie das erreichen?

Ganz konkret stelle ich mir vor, dass wir uns am TCO-Gedanken (Total Cost of Ownership) orientieren, damit am Ende alle Partner profitieren. Die wesentlichen Bedingungen, damit das funktioniert, haben wir in den Statuten unserer Initiative Fairness Plus für jedermann einsehbar veröffentlicht. Im Privaten halten sich die meisten Menschen an diese absolut üblichen Gepflogenheiten: faire Verhandlungen, faire Verträge und faire Entlohnung. Deshalb wird, wer die Werkzeugbau-Branche nicht kennt, gar nicht verstehen, dass diese Forderungen für unsere Branche nahezu revolutionär sind.

Wir müssen und wollen es schaffen, den Sand der Unfairness aus dem Getriebe der Zusammenarbeit zu entfernen und durch das Schmiermittel Vertrauen zu ersetzen. Dann haben wir einen enormen Hebel, der uns allen nützt. Beispielsweise fallen Angst- und Sicherheitszuschläge weg. Verträge sind leichter überprüfbar, die Durchlaufzeiten für Formen können verkürzt werden. Die Auslegung der Formen muss sich dann auch nicht mehr ausschließlich an endlosen Lastenheften orientieren, sondern überwiegend am tatsächlichen Bedarf des Kunden. Mit der Folge, dass ein teures Over-Engineering verzichtbar wird und das mittlerweile völlig überdimensionierte Prüfgeschehen reduziert werden kann.

Im Endeffekt profitieren alle davon, dass der Bauteileaufwand und -preis bei besserer Teilequalität konkurrenzlos günstig wird. Denn es wird Zeit, dass endlich jeder versteht: Fairness ist keine Schwäche, sondern eine Frage der Vernunft und ein Plus für Alle! Dafür werben wir mit der »Initiative Fairness+«.

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